Als Maria W. aus der Baracke tritt, hat sie bereits vier Jahre Zwangsarbeit im Frauen KZ von Ravensbrück hinter sich. „Die schritten unsere Reihe ab, guckten alle einzeln an. Die und die und die Nummer vortreten." Und da hörte ich, wie Schildlauski, der SS-Arzt sagte: “Das Gerippe da wollen Sie auch mitnehmen?“ Das war ich! Und da hörte ich, wie dieser Kommandant sagte, „die ist gut gebaut, die füttern wir uns wieder zurecht’."
Maria W. ist eine von mehr als 200 Frauen, die für Heinrich Himmlers SS Zwangsarbeit leisten müssen: Als Prostituierte in den elf “reichsdeutschen“ KZ-Bordellen. Die größten befanden sich in den KZs von Mauthausen, Buchenwald und Auschwitz.
Jahrzehnte lang haben sie und andere Überlebende aus den Konzentrationslagern es vermieden, über das Thema „Zwangsprostitution im KZ“ zu reden. Zu groß war die Scham der betroffenen Frauen. Und zu groß die Sorge der anderen KZ-Überlebenden, die Welt würde durch die Tatsache von Bordellen ein falsches Bild vom Lageralltag erhalten.
Welche Schicksale erlitten die Zwangsprostituierten in den KZ-Bordellen?
Was für Häftlinge besuchten das KZ-Bordell, und nützten so die Zwangslage der Zwangs-Prostituierten aus?
Und welche Dokumente der SS-Kommandanturen geben neutral Auskunft über Ziel, Aufbau und Organisation des Bordellalltags innerhalb der KZs?
Im Herbst 1943 wird in Auschwitz ein Bordell nur für Häftlinge eröffnet. Josef Paczynski (93) arbeitet als Lagerfrisör. Der 19-jährige Kapo besucht das Bordell, allerdings nach eigenen Angaben „ohne mit einer Frau geschlafen zu haben“. In seiner Erinnerung arbeiteten dort „21 junge schöne Frauen, alle schön frisiert, mit hohen Schuhen und eleganter Kleidung. Den Frauen ging es dort gut, die hatten alles was sie brauchten.“ So wie der polnische KZ-Überlebende Josef Paczynski machen sich die meisten männlichen Häftlinge machten sich wenig Gedanken um das Leid der Zwangsprostituierten.
So auch Sigmund Sobolewski. Auch er ist 19 und arbeitet als Kapo in Auschwitz, als er das Lagerbordell besucht. Doch bei ihm bleibt es nicht beim Reden - er verliebt sich in die attraktive Polin Irka, eine Zwangsprostituierte aus Warschau. Und er versucht alles, um sie wiederzusehen – auch nach dem Krieg.
„Sie trug offene Haare und hatte Make up und eine schöne Unterwäsche an. Beim ersten Mal gab es keinen Sex, da haben wir nur geredet. Man hatte ihr versprochen, dass sie frei kommt, wenn sie ein halbes Jahr im Bordell arbeitet. Sie hat fest daran geglaubt.“
Unser Dokumentarfilm erzählt anhand des Schicksals der beiden Zwangsprostituierten Maria W. und Irka, sowie einstiger Bordellbesucher das Martyhrium dieser Frauen. Er gewährt zudem anhand von original NS-Dokumenten wie Briefen, Bordellabrechnungen und Häftlingskarteikarten Einblicke in das kühl durchkalkulierte System von Heinrich Himmlers KZ-Bordellen.
"Zwangsarbeitern im KZ mehr Essens-Rationen in Aussicht zu stellen, hätte die SS zusätzlich Geld gekostet. Als Leistungsanreiz Sex mit weiblichen KZ-Häftlingen anzubieten, war für Himmler dagegen kostenlos."
Andrea Oster, Autorin und Regisseurin
„ Mit dieser Dokumentation wird ein besonders perfides Detail aus dem Alltag in NS-Konzentrationslagern dargelegt. Die schreckliche Zeit des NS-Regimes ist schon in zahlreichen Filmen aufgearbeitet worden, erstmals berichtet diese Dokumentation aber ausführlich über die Häftlingsbordelle in den Lagern. Mit Interviews von Zeitzeugen und überlebenden wird in sensibler Weise das Schicksal und Leiden der Betroffenen erzählt. ORF 3sat ermöglicht mit dieser Dokumentation erstmals einen wichtigen Blick auf ein bisher vielfach ausgeblendetes Detail der Grausamkeit und Doppelbödigkeit des NS-Systems."
Dr. Hubert Nowak, Sendungsverantwortlicher ORF 3sat
„ Für den MDR ist dies ein ganz besonderer und sehr wichtiger Film. Regisseurin Andrea Oster gelingt es nicht nur, ein sehr eindrückliches Bild jener Frauen zu zeichnen, die unter anderem im Konzentrationslager Buchenwald durch ein doppeltes Martyrium - Lagerhaft und Zwangsprostitution - gehen mussten. Sie legt gleichzeitig schonungslos das perfide System dieser KZ-Bordelle offen und zeigt auch, in welch zwiespältiger Situation die männlichen Gefangenen waren, die diese Bordelle aufsuchten."
Frank Kutter, Sendungsverantwortlicher MDR
Prostitution als eine besonders perfide Form von Zwangsarbeit.
Als wäre der Überlebenskampf in einem KZ nicht schon tragisch genug, mussten rund 200 Frauen in KZ-Bordellen dienen. Nicht der SS, auch nicht Männern von außerhalb. Sie mussten ihre Körper männlichen Mithäftlingen zur Verfügung stellen - als Belohnung für deren „besonders fleißige" Zwangsarbeit.
Für diese jungen Frauen muss der Bordelldienst eine gewaltige seelische Tortur bedeutet haben. Das erzählen ehemalige weibliche Häftlinge die im KZ mit diesen Frauen gesprochen hatten. Und doch bot das Bordell den Zwangsprostituierten auch eine realistische Chance, eines Tages einmal das KZ lebend verlassen zu können. Was für eine Schizophrenie.
„Es gab plötzlich 55-Küche - das war ja der Reiz: in Ravensbrück so und hier so, wer hätte das nicht gemacht?" (Zitat von „Maria W", ehemalige Zwangsprostituierte im KZ Buchenwald).
Zweieinhalb Jahre währte das System der Zwangsprostitution, es hielt sich in zehn Konzentrationslagern, bis diese verlassen oder befreit wurden. So gut wie alle der Zwangsprostituierten bewahrten die Geschehnisse im Bordell als lebenslanges Geheimnis für sich. Aus Scham, aus Ekel, ausAngst vor Stigmatisierung. Es waren Frauen, die nur deshalb im KZ interniert waren, weil sie den falschen Mann liebten („Rassenschande") oder weil sie im politischen Widerstand waren, oder weil ihre soziale Herkunft dem NS-Regimes missfiel.
Andrea Oster schreibt: Zur Recherche.
Ja, es gibt weiß Gott angenehmere Themen für eine Historikerin und Filmemacherin. Wie kann man so ein vielschichtiges Thema angehen ohne die Gräuel innerhalb der Konzentrationslager zu verharmlosen? Wie lässt sich das Leid der Frauen darstellen, die äußerlich im Bordell gut ernährt und gepflegt wurden aber seelisch am erzwungenen Bordelldienst zerbrachen? Und wie ist die Position der männlichen Häftlinge erklären, die einerseits Opfer des NS-Systems waren, andererseits aber auch das Angebot der SS zu einer Art legalisierten Vergewaltigung angenommen hatten? Gezwungen wurden schließlich nur die wenigsten Männer ins Bordell zu gehen auch wenn dies tatsächlich in manchen Konzentrationslagern vorgekommen sein soll.
Andrea Oster schreibt: Die filmische Umsetzung.
Die filmische Umsetzung dieses Thema stand und fiel mit der Suche nach Zeitzeuginnen, nach überlebenden dieser unglaublichen Tortur. Namen der Betroffenen herausfinden war zunächst nicht schwer. Die heute noch erhaltenen und umfangreichen Häftlingsakten aus der NS Zeit geben detailliert Auskunft über die Bordellfrauen. Sie nennen die Vorstrafen, das Alter, die Namen der Eltern, der Herkunftsorte und die vollen Namen der einstigen Bordellfrauen. Sollte 67 Jahre nach dem Krieg noch eine dieser Frauen leben? Die jüngste von ihnen wäre heute 87 Jahre alt. Unmöglich war es nicht.
Und tatsächlich fand sich bald eine interessante Spur. Eine dieser ehemaligen Zwangsprostituierten war noch am leben: Antonia K., eine Polin die in Belgien lebte und nach dem Ende des zweiten Weltkrieges den Mädchennamen ihrer Mutter wieder angenommen hatte. Sie war die letzte Zeitzeugin, und sie war den Medien i1n Polen auch nicht ganz unbekannt. Denn Antonia hatte als KZ-überlebende häufiger Interviews über die Gräuel von Auschwitz gegeben. Nur dieses eine Detail, dieses eineinhalb Jahre im KZ-Bordell hatte sie stets verschwiegen. Sollte es uns gelingen, ihr Schweigen zu brechen?
Es gab jedoch noch ein zweites Problem. Antonias Gehirn zeigte inzwischen deutliche Anzeichen von Demenz. Zwischen wochenlangen Tagen der geistigen Finsternis, gab es aber auch immer einige helle Stunden. Da funktionierte das Langzeitgedächtnis, da wurden die Grauen von Auschwitz wieder lebendig.
Sollte ich wirklich versuchen, einer Frau, ihr seit rund 70 Jahren wohl gehütetes Lebens-Geheimnis zu entlocken? Einer vom Schicksal derart gemarterten Frau in diesem hohen Alter? Andererseits: was nie gesagt wurde, wäre für immer verloren. Und vielleicht würde es nie einen Film geben über diese so bizarre Form der KZ-Zwangsarbeit. Während meine Producerin, Iris Haschek von der Wiener Makidofilm und ich überlegten, was moralisch kaum vertretbar aber journalistisch unabdingbar schien, entschied das Schicksal. Antonia starb Anfang des Jahres 2012.
Jetzt waren sie alle tot. Und damit ihre Geschichten. Und die Schicksale dieser Frauen alleine über Interviews ehemaliger Bordellbesucher zu erzählen, wäre ihnen nicht gerecht geworden. Inmitten dieses Dilemmas erinnerte ich mich an die Aufzeichnungen einer Hamburger Soziologin, die im Sommer 1990 mehrere Interviews mit der früheren Zwangsprostituierten Maria W* auf Tonband aufgezeichnet hatte. ( * Name geändert)
Zunächst hatten wir Glück: Die Tonbänder waren auch nach 22 noch vorhanden. Doch in welchem Zustand? Es knackte und rauschte auf jedem Band. Hier zwitschert ein Wellensittich, dort klapperte Kaffeegeschirr und zwischendurch überlagerte immer wieder der Gong der Wanduhr die Aussagen von Maria W. Kurz: Die Ton-Qualität der Bänder war miserabel.
Doch die Inhalte ihrer Aussagen waren ausgesprochen informativ - und noch etwas: höchst emotional.
Abends, wenn die Häftlinge Feierabend hatten, mussten wir auf dem Sprung stehen, Tag für Tag. Dann mussten wir dran glauben, abends diese verfluchten Stunden." (Zitat von „Maria W", ehemalige Zwangsprostituierte im KZ Buchenwald).
Und dann kam die gute Nachricht des Tonstudios: Die Bänder sind noch zu retten. Hall und Rauschen lassen sich minimieren. Nur die Hintergrundgeräusche sollten bleiben: der tschilpende Wellensittich, die tickende Wanduhr, die klappernden Kaffeetassen. Doch damit konnte ich als Regisseurin leben. Zumindest solange, bis ich mich dann beim Drehbuchschreiben fragte: Wie lässt sich nur eine dürre, von der KZ-Haft abgemagerte Frau bei den Dreharbeiten darstellen? Wie kann ich Ansehen und Würde einer ehemaligen Zwangsprostituierten wahren, bei Szenen wie dieser?
"Was, das Gerippe da wollen Sie auch mitnehmen?" Das war ich, denn ich war nur noch Haut und Knochen. Und da hörte ich, wie dieser Kommandant sagte: die ist gut gebaut, die füttern wir uns wieder zurecht." (Zitat von „Maria W", ehemalige Zwangsprostituierte im KZ Buchenwald).
Am Ende habe ich mich dazu entschlossen, nicht die Inhalte des Interviews zu inszenieren, sondern vielmehr die Interview-Situation der beiden Frauen zuhause im Wohnzimmer von Maria W. Und ich bin ausgesprochen froh, dass mein Produzent, Golli Marboe von „Makidofilm" in Wien und mein 3sat- Redakteur Hubertus Nowak, meine Haltung teilten und diese Form der szenischen Interpretation unterstützen.
Also nicht wundern, wenn in einigen Szenen Wellensittiche durchs Bild hüpfen oder zwei Frauen sich im Pendel einer Wanduhr spiegeln und später Kekse knabbern. Das war wirklich so. Und natürlich auch dem, was sich in den KZ-Bordellen tatsächlich ereignet hat, will sich der Film so weit wie möglich annähern .
Andrea Oster, Wien 18.10.2012